In der Welt des Motorsports gibt es nur wenige Persönlichkeiten, die so maßgeblich hinter den Kulissen agieren und dennoch einen enormen Einfluss auf das Geschehen haben. Sabine Kehm, die langjährige Managerin von Michael Schumacher, ist eine solche Persönlichkeit. Seit Jahren steht sie an der Seite einer der größten Ikonen des Rennsports und hat sowohl die Höhen als auch die Tiefen dieser aufregenden Karriere miterlebt und mit gestaltet. In diesem absolut exklusiven Interview spricht Sabine Kehm über ihre Definition von Freiheit, die Balance zwischen öffentlichem Leben und Privatsphäre, und wie sie und Michael Schumacher diese Prinzipien in ihrer gemeinsamen Arbeit und in den schwierigsten Zeiten ihres Lebens umgesetzt haben. Erfahren Sie mehr über die Frau, die nicht nur eine Managerin, sondern auch eine enge Vertraute des siebenfachen Weltmeisters ist, und erhalten Sie Einblicke in die Herausforderungen und Triumphe, die sie gemeinsam erlebt haben.
Liebe Frau Kehm, können Sie uns ein wenig über Ihre Karriere erzählen und wie Sie zur Managerin von Michael Schumacher wurden?
Ich habe als Sportjournalistin für grosse deutsche Tageszeitungen gearbeitet. 1994 dann schickte sich dieser junge Rennfahrer an, die Formel-1-WM zu gewinnen, also fuhr ich zu einigen Rennen, um über ihn zu schreiben. Einige Jahre danach machte er mir das Angebot, für ihn als Medien- und PR-Beraterin zu arbeiten, und einige weitere Jahre später, das gesamte Management zu übernehmen. Meine Liebe zum Sport und der Zufall haben also eine grosse Rolle gespielt.
Was hat Sie dazu inspiriert, in die Welt des Motorsports und Managements einzutreten? Ist ja eigentlich eine Männerdomäne?
Als Journalistin liebt man es, Geschichten zu erzählen, und der Motorsport mit seinem räumlich beschränkten Fahrerlager bot ein Panoptikum an faszinierenden Charakteren. Ich war weniger an der Technik interessiert als an den Menschen, die sie beherrschten und auf die Spitze trieben.
Wie haben Sie Michael Schumacher kennengelernt und was war Ihr erster Eindruck von ihm?
Ich habe ihn wie gesagt bei meinem ersten Formel-1-Rennen vor 30 Jahren kennen gelernt. Ich fand ihn zurückhaltend, aber sympathisch. Vorsichtig, aber geradeaus. Er strahlte schon damals die Energetik aus, die ihm eine solch aussergewöhnliche Karriere ermöglichen sollte.
Was glauben Sie, macht Michael Schumacher so besonders und erfolgreich als Rennfahrer?
Die Liebe zum und das Gefühl für das Fahren. Sein Arbeitsethos; das Wissen, dass Talent nur durch harte Arbeit zum Erfolg führt. Der nimmermüde Kampfgeist. Seine technische und soziale Intelligenz. Der feste Glaube, dass ein Team mehr als nur das gemeinsame Ziel verbindet. Michael hatte als Fahrer eine natürliche Autorität, er gab die Richtung vor, er flösste Vertrauen ein.
Welche Erinnerungen oder Momente aus Ihrer gemeinsamen Arbeit mit Michael Schumacher sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ?
Es hat mich immer fasziniert, welche Gefühle ein Mensch durch seine Art zu siegen und zu feiern in anderen Menschen hervor rufen kann. Diese Emotionen in anderen wecken zu können ist ein besonderes Geschenk, das ist glaube ich nicht vielen gegeben.
Ich habe es immer als Privileg empfunden, das aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Welche waren die größten Herausforderungen, denen Sie sich als Managerin von Michael Schumacher stellen mussten? Ich bin ja erst seit Ende 2009 seine Managerin, von dem Moment an, als er plötzlich entschied, wieder Rennen zu fahren. Wir mussten dann in sehr kurzer Zeit alle komplett auf Ferrari abgestellten Verträge ändern und sie für Mercedes anpassen beziehungsweise neu verhandeln. Das ging lange bis tief in die Nacht, und dann ging die 2010 Saison auch schon los. Das war schon recht hektisch alles.
Gab es Momente in seiner Karriere, in denen Sie sich besonders gefordert oder unter Druck gesetzt fühlten?
Das waren eigentlich für mich immer die gleichen Momente, die auch für ihn kritisch waren. 2000 zum Beispiel, als der Druck, endlich die WM für Ferrari zu gewinnen, fast körperlich spürbar war. 2006 nach der Rascasse-Sache, als es harte Anfeindungen gab.
Im Sport ist es nun mal so, dass die Ergebnisse die Zeit danach vorgeben, bis zum nächsten Rennen. Je nachdem, wie es auf der Rennstrecke lief, lief es auch abseits der Rennstrecke.
Können Sie uns von einem besonders stolzen Moment in Ihrer Zeit als seine Managerin erzählen?
Als ich zum ersten Mal einen sehr guten Deal verhandelt und abgeschlossen hatte, war ich schon auch irgendwie stolz. Diesen Bereich hatte ich vorher nicht abgedeckt, das war für mich Neuland, auch wenn ich natürlich in all den Jahren bei der Umsetzung der Deals hautnah dabei war. Diesmal war ich es aber auch bei der Genese.
Wie würden Sie Ihren Managementstil beschreiben und wie hat dieser Stil zur Karriere von Michael Schumacher beigetragen?
Ich habe immer versucht, ehrlich und verlässlich zu sein, und dabei kreativ. Wie haben Sie das Gleichgewicht zwischen Michaels professionellem Leben und seinem Privatleben unterstützt? Indem ich dafür gesorgt habe, ihm in seinem Privatleben die Freiheit zu lassen, die er zum Auftanken brauchte. Die Balance zu verteidigen zwischen Beruf und Familie. So dass er wiederum zuhause komplett abschalten und frisch und fit zu den Rennen reisen konnte.
Wie haben Sie den schweren Unfall von Michael Schumacher persönlich und beruflich erlebt?
Als brutalen Schicksalsschlag. Er ist hart und schwer, das zu begreifen – oder besser, zu akzeptieren. Dass ich es begriffen hätte, möchte ich wirklich nicht behaupten.
Wie hat sich Ihre Rolle als Managerin nach dem Unfall verändert?
Mein Wirkungsgebiet war weniger senden, sondern vielmehr oft, vor allem anfangs, abschotten.
Was sind Ihre Pläne und Ziele für die Zukunft, sowohl persönlich als auch beruflich?
Wir arbeiten hart und unermüdlich daran, Mick Schumacher zurück in die Formel 1 zu bringen. Persönlich plane ich, fit und gesund zu bleiben.
Sehen Sie irgendwelche bedeutenden Entwicklungen im Motorsport in den nächsten Jahren und welche Rolle könnte Michael Schumachers Vermächtnis dabei spielen?
Egal, wie die Technik aussieht: entscheidend ist die Leidenschaft und das Engagement des Menschen. Michael hat das Skillset des modernen Rennfahrers definiert – alle Rennfahrer, die nach ihm kamen, haben ihn darin kopiert. Ein Team formen, nie nachlassen, auf jedes Detail achten, absolute Fitness, jedem im Team ein Vorbild sein. Das sind alles Dinge, die Michael vorlebte und die noch heute best case sind. Die Rennfahrer von heute eifern ihm in dieser Hinsicht immer noch nach.
Lassen Sie uns noch über unser Magazinthema sprechen. Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?
Für mich persönlich? Bedeutet Freiheit ganz eindeutig Unabhängigkeit im Kopf. Gab es Zeiten, in denen Sie oder Michael das Gefühl hatten, dass Ihre Freiheit eingeschränkt war? Natürlich könnte man darüber diskutieren, ob ein durchgetaktetes Leben wie das unsere damals nicht die persönliche Freiheit maximal einschränkt. Aber ich glaube an Freiheit im Kopf, und daran, dass man selbst bestimmt, was einen einschränkt und was nicht.
Inwiefern bietet der Motorsport den Fahrern eine Art von Freiheit, die sie in anderen Bereichen des Lebens nicht finden?
Ich denke, wenn man ständig an sein Limit geht, eröffnen sich neue Dimensionen, die andere wahrscheinlich gar nicht vermissen. Wenn man sich immer auf dem höchsten Level bewegt, in allen Aspekten der Arbeit, eröffnet das neue Möglichkeiten, die man vorher nicht kannte.
Wie haben Sie und Michael die Balance zwischen öffentlichem Interesse und Privatleben gefunden?
Durch Konsequenz. Dadurch, dass wir uns nie dazu treiben liessen, die Ausnahme zu machen, die die Trennlinie unweigerlich aufweichen würde. So konnten wir die strikte Trennung einerseits selbst durchhalten, und auf der anderen Seite haben die Menschen dies auch meistens akzeptiert.
Gibt es eine bestimmte Lektion über Freiheit, die Sie aus Ihrer Zeit mit Michael Schumacher gelernt haben und die Sie gerne teilen würden?
Man sollte die Momente ergreifen, wenn sie sich bieten. Nicht warten, nichts aufschieben. Frei sein in dem, was man machen möchte ,und es dann auch umsetzen.
Foto: Mercedes Benz Classic
Interview: Markus Hofmann / Elke Bauer
VÖ: HARBOR Magazin 04/2024