Die Zukunft des Films entsteht jetzt“ – Hollywood-Produzentin Jeanette Milio im Interview

Die Zukunft des Films entsteht jetzt“ – Hollywood-Produzentin Jeanette Milio im Interview

Frau Milio, Sie arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich in Hollywood. Wie haben Sie die Veränderungen in der Filmmetropole über die letzten zwei Jahrzehnte persönlich erlebt?

In den letzten zwei Jahren hat sich der Trend, den wir bereits vor etwa fünf Jahren in der Filmindustrie beobachten konnten, weiter verstärkt. Für Produzenten, die ihre Projekte auch (mit-) finanzieren, ist es entscheidend, dass die Lizenzeinnahmen der Filme (Einnahmen aus der Distribution im Kino, streaming und TV)  tatsächlich Gewinne generieren. Unsere Investoren erwarten jährliche Renditen von mindestens 10 bis 20 %.

Da die Lizenzeinnahmen in den vergangenen Jahren rückläufig waren, mussten Produzenten ihre Finanzierungspläne anpassen. Produktionsbudgets wurden reduziert und durch zusätzliche Finanzierungselemente ergänzt, die nicht rückzahlbar sind, wie etwa Fördermittel, Brand-Partnerschaften oder andere Zuschüsse.

Wenn diese Maßnahmen konsequent angewendet und mit weiteren projektspezifischen Schritten zur Risikominimierung kombiniert werden, können Produzenten und Film-Investoren nach wie vor attraktive Gewinne im globalen Markt erzielen.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der amerikanischen und der europäischen Filmindustrie – sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung?

Mit der Zunahme von lokalen (insbesondere europäischen) Filmen, die im US-Markt (und im globalen Markt) vertrieben werden, eröffnen sich für europäische Produzenten deutlich mehr Möglichkeiten, ihre Filme nicht nur im Ursprungsland, sondern weltweit zu vermarkten. Dies kann – vorausgesetzt, der Film spricht auch ein globales Publikum an – zu höheren Gewinnen für europäische Produzenten führen.

Die Filmfinanzierung gilt nach wie vor als eine der größten Herausforderungen der Branche. Aktuell lassen sich mehrere Trends bei der Kapitalbeschaffung für internationale Produktionen beobachten:

In den letzten Jahren sehen wir das Investoren eher zurückhaltender waren, das es unklar war ob, und wie Profite generiert werden können.

Das ändert sich nun mehr und mehr da die Nachfrage nach Content steigt: Die Nachfrage nach Filmen und Serien ist heute deutlich höher als noch vor einigen Jahren, da Streaming-Plattformen kontinuierlich neuen Content benötigen. Dadurch steigt das Interesse an internationalen Projekten – sowohl im Spielfilm- und Serienbereich als auch im Non-Fiction- bzw. Dokumentarbereich.

Streaming-Plattformen haben die Finanzierungs- und Vertriebswege massiv verändert. Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für Produzenten?

Einer der Hauptgründe, warum die Lizenzpreise – und damit auch die Distributionseinnahmen für Produzenten, Verleiher und Investoren – in den letzten Jahren gesunken sind, liegt in der Marktmacht der Streaming-Anbieter. Diese haben den Markt stark unter Druck gesetzt und die Preise spürbar nach unten gedrückt.

In jüngster Zeit hat sich die Situation jedoch etwas entspannt. Streamer agieren mittlerweile häufiger wie klassische Lizenzkäufer und zahlen wieder marktübliche Preise. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass viele Produzenten in den vergangenen Jahren aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen nicht produzieren konnten und es dadurch insgesamt deutlich weniger Filme gab.

Dieser Rückgang des Angebots hat die Nachfrage nach Inhalten wieder erhöht. Allmählich normalisiert sich die Lage, sodass es erneut sinnvoll sein kann, Filme zu produzieren, die global vertrieben werden. Dadurch können wieder Distributionseinnahmen erzielt werden, die für Produzenten und Investoren echte Gewinne generieren können.

Welche Rolle spielen unabhängige Produzenten im heutigen Filmmarkt – und wie gelingt es ihnen, sich gegen die großen Studios durchzusetzen?

Der unabhängige Produzent konkurriert nicht wirklich direkt mit den großen Studios, da unabhängige Produzent in der Regel keine Filme mit Budgets von über 200 Millionen Dollar produziert. Stattdessen konzentriert man sich auf Projekte in einem Bereich, den die Studios selbst kaum noch bedienen: Thriller, Actionfilme, Komödien und Dramen mit Budgets zwischen 3 und 20 Millionen Dollar.

In diesem Segment agiert der unabhängige Produzent weitgehend konkurrenzfrei gegenüber den Studios und kann diese Filme oftmals sogar an Studios verkaufen oder von ihnen für eine Distributionslizenz erwerben lassen.

KI hält Einzug in alle kreativen Bereiche. Wo sehen Sie Potenziale, wo Risiken für die Filmindustrie?

Meiner Ansicht nach hat Künstliche Intelligenz eine sehr wichtige Funktion, insbesondere wenn es um Kosteneinsparungen geht. Mit effizienteren VFX-Shots und dem Einsatz von KI-Studios, in denen ansonsten teure Szenenbauten digital ersetzt werden können, lassen sich erhebliche Unterschiede bei den Produktionskosten erzielen.

Was die Schauspieler betrifft, bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form eine KI-Personifizierung von Darstellern in Zukunft erlaubt sein wird. Die Branche arbeitet aktuell intensiv an entsprechenden Lösungen. Das Ergebnis könnte für beide Seiten – Schauspieler ebenso wie Produzenten und Studios – sehr interessant werden.

Glauben Sie, dass KI das klassische Drehbuchschreiben ersetzen kann, oder bleibt die menschliche Kreativität hier unersetzbar?

Meiner Erfahrung nach kann KI bisher noch kein wirklich gutes Drehbuch liefern. Diese Art von Kreativität ist bislang nicht ersetzbar – aber wer weiß, was die Zukunft bringt.

Von Virtual Production bis hin zu KI-gestützter Postproduktion – welche Technologien werden die Arbeitsweise in den kommenden Jahren am stärksten verändern?

Wie bereits erwähnt, kann durch den Einsatz moderner Technologien vor allem im Bereich VFX eine erhebliche Kostenreduktion erzielt werden. Teure Szenenbilder sowie aufwändige Studio- und Setbauten lassen sich zunehmend durch KI-generierte Kulissen ersetzen. Damit sinken die Produktionskosten deutlich. Für uns Produzenten ist das entscheidend: Nur durch die Reduzierung von Kosten können wir langfristig auch Gewinne generieren.

Welche Tipps geben Sie jungen Filmemachern, die in Hollywood Fuß fassen wollen – sei es als Regisseur, Produzent oder Drehbuchautor?

Als ich mit etwa 35 Jahren nach Los Angeles auswanderte, kannte ich niemanden. Ich kam mit zwei Koffern, meiner elfjährigen Tochter und großen Träumen hierher. Die Realität stellte sich jedoch schnell ein: In Hollywood gibt es Produzenten wie Sand am Meer.

Was mir wirklich geholfen hat, war Networking – Networking – und nochmals Networking. Die Kolleginnen und Kollegen hier sind oft sehr hilfsbereit, wenn es darum geht, Kontakte zu knüpfen, die einem helfen können, ein Projekt auf die Beine zu stellen. Allerdings braucht man ein wirklich starkes Filmprojekt – etwas, das nicht nur den US-Einkäufern, sondern auch den globalen Käufern (Studios, Streamer, Fernsehsender) gefällt.

Als Drehbuchautor muss man Geschichten schreiben, die innovativ und zugleich kommerziell sind – eine Herausforderung, die nicht leicht zu meistern ist. Hier können Script-Doktoren weiterhelfen. Als Regisseur wiederum kann ein erfolgreicher Kurzfilm zur Visitenkarte werden und dabei helfen, für größere Projekte engagiert zu werden.

Junge Produzenten, Filmemacher und Autoren können hier in Los Angeles internationale Filmmärkte wie den AFM (American Film Market) besuchen. Dort treffen sie an einem Ort auf Distributoren, Produzenten, Filmemacher und Investoren und haben die Möglichkeit, wertvolle Kontakte zu knüpfen.

Auch die UCLA Extension-Kurse sind ebenfalls empfehlenswert, da sie im Entertainment-Bereich einen stark praxisnahen Ansatz verfolgen. Diese Kurse finden sowohl online als auch im Klassenraum statt. Man kann dort ebenfalls Kontakte aufbauen und gleichzeitig wichtiges Wissen über die US-amerikanische wie auch die internationale Filmindustrie erwerben.

Insgesamt ist es sehr sinnvoll, mit Mentoren und Kollegen zusammenzuarbeiten, die bereits Fuß gefasst haben und hilfreiche Tipps und Kontakte weitergeben können. Für mich persönlich hat das sehr gut funktioniert – in Kombination mit einem soliden Projekt und der Tatsache, dass ich mir eine Nische, nämlich die Filmfinanzierung, gesucht habe. Ich habe mich auf Koproduktionen und Finanzierungen spezialisiert, eng mit Banken und Investoren zusammengearbeitet und Filmfonds strukturiert, die Gewinne erzielten.

Welche Fortschritte sehen Sie in Bezug auf Diversität und Chancengleichheit in der Filmbranche, und wo gibt es noch Nachholbedarf?

Hier in den USA ist Diversifikation ein großes, etabliertes und fest verankertes Thema. Viele Serien, Filme und Dokumentarprojekte beinhalten bereits Diversität – sei es durch vielfältige Besetzungen oder durch die Auswahl unterschiedlicher Themen.

Internationale Einkäufer und Distributoren erwarten dies bereits seit Jahren, sodass es derzeit in diesem Bereich -meiner Meinung nach – derzeit keinen großen Nachholbedarf gibt.

Wie wichtig ist der asiatische Markt – insbesondere China – für die Planung internationaler Filmprojekte?

Wenn man als Distributor in China unterwegs ist, ist dieses Thema sicherlich relevant. Für uns Produzenten spielt es jedoch eine geringere Rolle, da wir -die Produzenten - in der Regel lediglich die chinesischen Rechte als Lizenz verkaufen und häufig keine weiteren Profite aus China erzielen. Das System könnte sicherlich optimiert werden. Im Moment ist es eben was es ist, zumindest für mich.

Wenn Sie einen Ausblick wagen: Wie sieht die Filmindustrie in zehn Jahren aus? Werden wir Filme so erleben, wie wir es heute kennen – oder erwarten uns völlig neue Formate und Erzählweisen?

Seit der Pandemie leiden die Kinobranchen. Ich denke, dass die Zahl der Kinofilme weiterhin eher reduziert ist, da sich die meisten Kinogänger eher für Tentpoles – also die großen Studio-Produktionen – entscheiden und weniger für Filme unabhängiger Produzenten.

Ich vermute auch, dass sich die Streaming-Anbieter künftig eventuell weiter ausbreiten und möglicherweise aktiver in den Kinomarkt einsteigen könnten. Das wäre eine positive Entwicklung für unabhängige Produzenten, die dadurch eine größere Chance hätten, ihre Filme auch im Kino zu platzieren.

Darüber hinaus halte ich es für möglich, dass wir in Zukunft KI-generierte Geschichten sehen werden – vielleicht sogar mit KI-Versionen von Schauspielern, die niemals selbst am Set gestanden haben.

All das ist spannend und eröffnet neue Perspektiven. Ob diese Entwicklungen für unabhängige Produzenten letztlich von Vorteil oder eher nachteilig sind, hängt meiner Ansicht nach stark davon ab, wie flexibel man sich an diese Veränderungen anpassen kann (oder will).

Interview: Markus Hofmann - VÖ: Tabula Rasa Magazin / Foto: Jeanette Milio Privat

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