Wenn es um die Zukunft der bemannten Marsforschung geht, mischt das Österreichische Weltraum Forum (ÖWF) ganz vorne mit. Mit der AMADEE-Mission realisiert das Team rund um Direktor Dr. Gernot Grömer hochkomplexe Mars-Simulationen unter realitätsnahen Bedingungen – zuletzt etwa in der kargen Landschaft Armeniens. Ziel ist es, Technologien, Arbeitsabläufe und wissenschaftliche Experimente zu testen, die eines Tages auf dem Roten Planeten zur Anwendung kommen könnten.
Im Gespräch mit FullService360/ Markus Hofmann gibt Herr Dr. Grömer spannende Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit des ÖWF, die Bedeutung internationaler Kooperationen und die Vision, die das Projekt AMADEE antreibt.
Interview mit Dr. Gernot Grömer, Direktor des Österreichischen Weltraum Forums
MH: Herr Dr. Grömer, welche zentralen wissenschaftlichen und technologischen Zielsetzungen verfolgt die AMADEE-Mission, und welche Rolle spielt das Österreichische Weltraum Forum in diesem Kontext?
GG: Bei diesen Marssimulationen geht es um das Zusammenspiel von Mensch und Maschine, dem Testen von Technologie, Workflows und Materialien. Dazu kommt die optimale Arbeitsteilung zwischen dem Mission Support Center in Wien, der „Erde“ und der Crew in der marsähnlichen Landschaft. Anders als bei den Apollomissionen zum Mond und aktuell bei der Internationalen Raumstation können wir beim Mars zum Beispiel keine Echtzeit-Koordination haben, das bedeutet, die Autonomie in der Entscheidungsfindung muss deutlich „nach vorne“ ins Feld verschoben werden.
MH: Analogmissionen gelten als essenzieller Baustein auf dem Weg zu einer bemannten Marsmission. Welche realen Herausforderungen können Sie durch AMADEE bereits heute simulieren?
GG: Einige Herausforderungen können wir schon jetzt sehr gut simulieren, wie etwa die zeitverzögerte Kommunikation, den Faktor Mensch, was die psychologischen und physiologischen Belastungen betrifft. Wir stehen erst am Anfang dieses Lernens, etwa, wie Roboter und Menschen sich am Besten ergänzen können und wie wir weitab von jeder Versorgungs-Infrastruktur eine komplexe Raumfahrtmission koordinieren.
Die Anforderungen an das Material sind auch bei diesen unseren Simulationen recht beachtlich: Vom Windschliff eines Staubsturms in der Sahara, der Beanspruchung von Energieträgern, bis hin zum Verschleiß von kritischen Bauteilen – hier sehen wir, was zuerst defekt und abgenutzt wird, und lernen, resilientere Hardware zu bauen.
MH: Welche Technologien, Instrumente oder Experimente wurden bei der letzten AMADEE-Mission getestet – und wie praxisnah sind diese im Hinblick auf einen tatsächlichen Mars-Einsatz?
GG: Einerseits arbeiten wir seit Jahren an den Aouda-Raumanzugsimulatoren, welche die Einschränkungen eines flugtauglichen Raumanzuges auf dem Mars wiedergeben. Andererseits steckt noch ungemein viel Potenzial in der Robotik – von der automatisierten Geländekartographierung, der Probenentnahme bis hin zur Assistenzleistung bei Ausnahmesituationen, etwa um einen verletzten Astronauten zu bergen. Einiges davon ist noch technologische Zukunftsmusik, aber unsere Feldsimulationen zeigen auf, was eine Innovations-Sackgasse ist, und was eine vielversprechende Vision.
MH: Wie werden die Erkenntnisse aus der AMADEE-Mission in internationale Raumfahrtprojekte eingebracht – etwa bei Partnern wie ESA, NASA oder DLR?
GG: Die Datenanalyse der Experimententeams dauert üblicherweise etwa ein Jahr, bis dann die Forschenden sich wieder bei Workshops treffen, um ihre Resultate einem breiteren Publikum zu präsentieren. Das sind einerseits Vertreter von Raumfahrtagenturen und der Industrie, aber vor allem im akademischen Bereich in Konferenzen und Fachpublikationen. Das Feedback, das man in der wissenschaftlichen Debatte dann erfährt, ist ungemein wichtig, um einen Reality Check von außen zu haben.
MH: Der Standort für Analogmissionen ist entscheidend. Was machte die armenische Wüste zur perfekten Bühne für AMADEE20XX, und welche Kriterien sind bei der Auswahl generell ausschlaggebend?
GG: Wir sind sehr sorgfältig in der Auswahl unserer Testgebiete: Neben logistischen und sicherheitstechnischen Kriterien muss es eine Gegend sein, die auch Entsprechungen auf dem Mars hat. Das ist abgesehen von der „Optik“ auch Dinge wie Sandkrongrößenverteilung bis hin zur Mineraologie und etwas Strukturen, die auf alte Wasserflüsse hinweisen – etwas, das wir inzwischen auch vom Mars her kennen. Dahe sind wir auf der Suche nach „Geosimilars“, also Regionen, die ihre geologischen oder topografischen Zwillinge auf dem Mars haben.
MH: Wie gestaltet sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Rahmen von AMADEE – insbesondere im Hinblick auf internationale Forschungsteams, Logistik und technische Koordination?
GG: Die Vorbereitung für solche Expeditionen ist sehr umfassend und beginnt mindestens zwei Jahre vor der eigentlichen Reise. Das erste Team, das bei uns aktiv wird, sind neben dem Management vor allem die Juristen – da geht es um Frequenzlizensierungen und Forschungserlaubnis. Die Logistik der nächsten großen Brocken – manchmal mussten schon neue Straßen und Pisten im Feld geschaffen werden, damit die schweren LKW’s mit der kostbaren Nutzlast überhaupt ins Zielgebiet gelangen können. Wir haben da eine tolle Partnerschaft mit Gebrüder Weiss, die für solche Sondertransporte eigene Spezialisten abgestellt hat – auch um etwa die ungewöhnlichen Zollformalitäten abzuwickeln – schließlich hat keine Zollbehörde eine Tarifnummer für Raumanzüge. Dazu haben wir stets Unterstützung vom Gastland, das uns bei der Umsetzung unter die Arme greift und auch noch das Habitat, unsere Basisstation für die Analogastronauten, nach unseren Vorgaben bereitstellt.
MH: Wie lange dauern die Vorbereitungen für eine derart komplexe Mission, und welche Lessons Learned konnten Sie aus den bisherigen AMADEE-Missionen mitnehmen?
GG: Mindestens zwei Jahre vor einer Mission laufen die ersten Verhandlungen mit dem Gastland an, gefolgt von der Ausschreibung für die wissenschaftlichen Experimente, der Crew-Selektion und dem Aufbau der Unterstützungsteams. Jede Mission ist für sich einzigartig, deshalb müssen wir etwa auch unsere Prozeduren und Algorithmen stets anpassen. Wirklich abgeschlossen ist so eine Expedition frühestens ein Jahr nach der Feldphase.
Was wir gelernt haben, ist, wie sehr der Teufel oft im Detail steckt: Es gibt wahrscheinlich 1000 verschiedene Events, die zu Problemen oder Katastrophen bei einer Marsmission führen können. Dank der Analogforschung lernen wir vielleicht 800 davon kennen und können uns darauf vorbereiten. Dennoch bleibt ein erhebliches Restrisiko – ebenso wie bei Schiffreisen in der Neuzeit ins damals Unbekannte.
MH: Die Auswahl und Vorbereitung der Analog-Astronaut:innen ist sicherlich besonders anspruchsvoll. Welche Qualifikationen sind erforderlich, und wie läuft das Training ab?
GG: Wir haben – europaweit einzigartig – einen Pool von aktuell 13 Analogastronauten aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die sind bestens trainiert und müssen dann auf die jeweilige Mission spezialisiert werden. Deren Training ist sehr vielseitig, von der Ersten Hilfe, Raumfahrttechnik, operatives Training in der Kommunikation und Elektronik bis hin zu Quadbike-Fahrtechniktraining, Planetologie und Geologie, bis hin zu Sozial- und Führungskompetenzen. Analogastronauten sind topfitte Allrounder, die noch dazu meist hohe akademische Qualifikationen mitbringen. Gleichzeitig müssen sie aber auch hohe Sozialkompetenz aufweisen – einfach jemand, mit dem man gerne auf ein Afterwork-Bier gehen würde.
MH: Welche technologischen Entwicklungen – etwa im Bereich Robotik, KI oder Datenanalyse – werden bei kommenden AMADEE-Missionen eine Schlüsselrolle spielen?
GG: KI ist schon immer ein Thema bei uns gewesen: Wir sehen in den Missionen, dass der Umfang der technischen Dokumentation immer noch wächst: Handbücher, Spezifikationen der Stromversorgung etc. und das muss alles zusammenspielen. Wenn also die Crew selber Entscheidungen treffen muss – etwa in welcher Reihenfolge welche Batterien geladen werden sollen, während ein wichtiges Datenpaket prozessiert wird – dann kann es für einen Menschen gleich einmal überfordernd wirken, wenn er all diese Informationen berücksichtigen muss. Ein AI-Assistent kann da behilflich sein – was aber, wenn es sich um sicherheitskritische Entscheidungen handelt – etwa ob die Sauerstoffzufuhr in einem Abteil reduziert wird. Vertrauen Sie da blind der AI? Wir müssen also hier zuerst den „Sweet Spot“ zwischen der Technik-ausgeliefert-sein und sinnvoller Unterstützung finden.
MH: Abschließend: Welche Vision verfolgen Sie persönlich für die Rolle Österreichs in der internationalen Marsforschung – und welche Potenziale sehen Sie für das ÖWF im kommenden Jahrzehnt?
GG: Österreich ist ein kleines Land und trägt gerade einmal knapp über 2% zum Budget der European Space Agency bei, aber in dem Bereich Analogforschung haben wir immens viel Erfahrung, die auch international geschätzt wird. Das ÖWF deckt im Bereich bemannter Mars-Raumfahrt den österreichischen Beitrag ab, das heißt, wie auch immer eine zukünftige Marsmission aussieht, ich denke, da wird schon das eine oder andere „rot-weiß-rote“ Know-How dabei sein. Raumfahrt ist Teamarbeit, und wir wollen unseren Beitrag leisten, dass diese weiteste, ambitionierteste und technologisch herausforderndste Reise unsere Generation wissenschaftlich produktiv und sicher ablaufen wird. Letztlich geht es um die Entdeckung einer ganzen neuen Welt.
Text und Interview: Markus Hofmann, VÖ: Tabula Rasa Magazin