Muss die Gamerszene mit männlich gleichgesetzt werden? Das gehört zur Vergangenheit! Elfe, Mönch, Krieger - Immer mehr Frauen zählen zu der internationalen Gameszene und schlüpfen erfolgreich in Charaktere und Rollen.
Hätte man das gedacht? Unter den 34 Millionen Gamern in Deutschland liegt der Frauenanteil laut des Game Verbands bei 48 Prozent. Das Durchschnittsalter liegt bei 37,5 Jahren. Gaming ist schon lange keine Männerdomäne mehr.
Doch was ist es, was die Frauen so fasziniert? World of Warcraft (WOW) des US-amerikanischen Spieleentwicklers Blizzard ist solch ein beliebtes Massive Multiplayer Online Role-Playing Game. Als eines der bedeutendsten und erfolgreichsten Computerspiele hält es seit 2009 den Guinness Weltrekord. Als im November 2020 die achte Erweiterung zur Grundversion erschien, wurde diese mehr als 3,7 Millionen Mal binnen 24 Stunden verkauft und zählt damit zum schnellst verkauften PC-Spiel weltweit.
Die Spielewelt ist immer noch negativ behaftet – das Vorurteil über ‚sozio-autistische Nerds, die von der Außenwelt isoliert sind und in einer eigenen unrealistischen Welt leben‘ hält sich hartnäckig fest. Doch das ist weit weg von der Wahrheit. „Ich war ein totaler Einzelgänger und hatte mir schwer getan im Team zusammenzuarbeiten. Als Gamerin habe ich gelernt, auch gut in Gruppen zu spielen. Ich bin offener und mutiger geworden. Auch ist es interessant, wie World of Warcraft die Charaktere der anderen Spieler outet“, erzählt Maggie. Die 43-jährige Mutter eines zehnjährigen Sohnes bezeichnet sich selbst als Tastatur-Legasthenikerin, die kaum PC-Erfahrung hatte. Auch der Spielersprache war sie gar nicht mächtig. Heute baut sie sich selbst ihre Grafikkarte oder Interface zusammen. Das Erstellen von Fan-Art Videos in komplexen Programmen gehört heute zu ihrem Alltag und meistert sie mit links.
Zum Gaming kam sie über eine Freundin vor etlichen Jahren. Interesse hatte sie schon lange bei WOW einzusteigen, doch die monatlichen Kosten schreckten sie anfangs davon ab. Vor drei Jahren nutzte sie dann doch den Probeaccount und blieb. WOW ist vielfältig und es wird ihr nie langweilig, denn es kommt immer wieder was neues. Und als Mutter kann sie flexibel sein. Heute bereut sie keinen investierten Cent. Zusätzlich gibt sie etwa 60 € zu den Monatsraten jährlich aus: „Wenn es mir finanziell möglich wäre, würde ich sogar mehr Geld für WOW ausgeben“, gesteht die sportbegeisterte Erzieherin.
Wie viele ihrer Mitstreiterinnen wusste sie anfangs nicht, in welchen Charakter sie schlüpfen und vor allem welche Rolle sie spielen könnte. Es ist ja auch einiges geboten. Die Auswahl fällt schwer. Zur Allianz- oder Hordenfraktion? Will man Mensch, Elfe, Heiler, Mönch, Orc oder doch lieber ein Troll sein? Einzelgänger oder Teamplayer? Mutiger Kämpfer, Heiler oder doch lieber ein schlauer Stratege? Eine Gelegenheit, um sich durchzuprobieren und dabei sich selbst kennenzulernen! „Anfangs war ich total unwissend und ahnungslos. Also beschloss ich, ein Schamane zu sein. Den Nahkampf hatte ich mir gar nicht zugetraut. Zum einen ist man körpernah aber auch aufgrund der Technik an der Tastatur – man muss sehr schnell sein. Das war ein schwerer Einstieg für mich! Ich verstand weder die Gamersprache, noch war ich technisch versiert. Danke meiner Freundin, die mich zum Gaming überredete, wurde ich in ihrer Gilde aufgenommen und von den Mitgliedern unterstützt“, erzählt Maggie. Im Laufe der Zeit entdeckte sie den Mönch für sich. „Er gefällt mir von der Animation sehr gut. Akrobatische Bewegungen, edle Posen – mit ihm kann ich mich sehr gut identifizieren.“ Heute bewältigt sie einen Nahkampf ohne Probleme. Da eine Figur bis zu drei Spezialisierungen annehmen kann, liebäugelt sie auch mit der Rolle des Heilers. „Als Heiler hat man eine sehr hohe Verantwortung. Er ist derjenige, der dafür Sorge tragen muss, dass alle überleben. Durch WOW bin ich bereit, auch Verluste hinzunehmen.“ Das war nicht ganz einfach für die Alleinerziehende, die in ihrer Freizeit auch gerne zeichnet und schreibt. „Ich bin jemand, der zurückgezogen ist und sich unglaublich viel Gedanken darüber macht, was andere über mich denken. Auch will ich nichts falsch machen. Daher fällt es mir auch schwer, auf andere zuzugehen, vor allem auf fremde Menschen.“ Doch das hat sich dank WOW zum Positiven geändert. „Es spielen Gamer mit verschiedenen Charakteren und da ist natürlich der eine oder andere dabei, der Beschimpfungen gegenüber mir auslässt, weil ich was falsch gemacht habe. Davon lasse ich mich nicht mehr beeinflussen. Und ich bin viel mutiger geworden. Als Mutter kann ich meistens abends spielen. So passiert es manchmal, dass ich nicht meine Freunde antreffe. Ich musste mich überwinden, mit mir fremden Leuten zu telefonieren und zu spielen. Mir wurde klar: Erst wenn ich meine Ängste überwinde, werde ich weiterkommen. Je öfter ich das mache, umso mehr wird es zur Normalität. Auch im Alltag sind solche Fortschritte selbstverständlich geworden.“
Auch ihre Ausdauer und Frustrationstoleranz ist höher: „Die Magier-Turm Challenge ist eine der schwersten und kann nur solo erreicht werden. Ich habe mich dieser Herausforderung gestellt. 200 Anläufe waren nötig, bin ich das Ziel geschafft habe! Aber ich habe nicht aufgegeben! Diese Challenge hat mich absolut gestärkt!“ Sie hat sich selbst kennengelernt und auch viel Überraschendes über sich erfahren: „Ich hätte nicht gedacht, dass ein Spiel so viel mit echtem Leben zu tun haben könnte.“
Isoliert von der Außenwelt wird man durch Gaming nicht. Im Gegenteil – das gemeinsame Interesse verbindet Menschen. Maggie ist immer noch Mitglied in der Gilde, in welche sie ihre Freundin mit einbrachte. Dort hat sie einige MitspielerInnen auch persönlich kennengelernt und trifft sich regelmäßig mit ihnen: „Mein Sohn hat enge Freundschaften mit deren Kindern geknüpft. Ich mag diese Menschen in meinem Leben nicht mehr missen“, schwärmt Maggie. Sie spielt täglich. Die Stunden, die sie in ihrer Session investiert, hängen vom Alltag ab. Gerade jetzt während des Lockdowns nutzt sie die Zeit für World of Warcraft. „Ich bin immer noch begeistert von der Vielfalt und den unzähligen Möglichkeiten an Aktivitäten, was mir das Gaming bietet. World of Warcraft hat mich dazu gebracht, im Real Life einfach mal was Neues auszuprobieren und sich vom Leben überraschen zu lassen.“ Ihr Sohn will auch gerne spielen, wenn er zwölf Jahre alt ist. Er hat schon bei seiner Mama angefragt, ob sie ihm dann helfen würde bei seinen Anfängen. Auch ein inniger Liebesbeweis eines Sohnes an seine Mutter. In der Tat, Gaming macht Frauen mutiger und selbstbewusster. Auch dank der Gamerszene scheint die Zukunft für Frauen vielversprechend.
Autorin: Mirella Sidro / VÖ: HARBOR Magazin